A wie Aufräumen

Heute soll es an dieser Stelle ums Aufräumen gehen. Wer aufräumen muss, dem darf zunächst einmal bestätigt werden, dass er eine ganze Menge Dinge hat. Wäre da nichts, was sich neu ordnen ließe, bräuchte man sich damit ja gar nicht zu befassen. Ist doch schon mal positiv, oder? Da ist eine ganze Menge vorhanden und jetzt geht es darum, den richtigen Platz für die einzelnen Besitztümer zu finden.

Wahr ist allerdings auch, dass wir Heutigen so viel besitzen wie keine Generation vor uns. Viele Wohnungen sind bis unters Dach voll mit Gegenständen, an die wir uns gewöhnt haben. Es gibt kaum noch Platz in den Kleiderschränken, auch die Garage ist bis in den letzten Winkel belegt und der Keller gibt seit längerem keinen Quadratzentimeter für neue Errungenschaften mehr her. Kein Wunder also, das in den letzten Jahren immer mehr Bücher den Rat geben, das eigene Leben zu entrümpeln. Das „Zuviel“ in unserem Alltag, so empfehlen die Ratgeber, gilt es zu reduzieren. Es gehe darum, die eigenen Bedürfnisse herunter zu fahren und sich dafür mehr Räume zu schaffen für die kleinen Dinge des Alltags, für die Natur und für die Konzentration auf das Wesentliche. Mit solcherlei inneren und äußeren Entrümpelungen beschäftigt sich die Menschheit schon sehr lange. Friedrich Nietzsche, der große Philosoph, hat einmal den Satz geprägt: „wer wenig besitzt, wird umso weniger besessen.“ Ausmisten also! Aber ist das wirklich so einfach wie es klingt? Gibt uns die bewährte Umgebung mit allen unseren persönlichen Raritäten und Kuriositäten nicht vielmehr einen tauglichen Halt, um nicht abzugleiten ins Meer der Beliebigkeit?

Man kann das von verschiedenen Seiten betrachten – und keine davon hat den Anspruch besser zu sein als die andere. Ich habe in den vergangenen Jahren damit angefangen, mit sehr reduzierten Gepäck lange Strecken zu laufen, beispielsweise auf dem Jakobsweg. Dabei wurde mir bewusst, wie wenig der Mensch eigentlich wirklich braucht und wie viel er eigentlich mit sich herumschleppt. Tatsächlich habe ich bei diesen Wanderungen mit reduzierten Gepäck festgestellt, dass es ganz schön ist, sich Dinge leisten zu können, aber dass es mindestens genauso schön ist, einfach zu leben und mit weniger Krimskrams auszukommen. Nach der Wanderung mit leichtem Gepäck habe ich auch sonst so manches entrümpelt. Der Anfang war gemacht. Vielleicht hört das Aufräumen nie ganz auf, weil wir sind, wie wir sind. Manche räumen erst ihren Kleiderschrank aus, um sich danach selbst von Dingen, die auf der Seele lagen, zu befreien. Wer den Kampf mit den Dingen aufnimmt, der tut sich wahrscheinlich am Ende leichter, zu entscheiden, was für sein Leben wichtig ist, und was nicht. In der Vokabel entscheiden, liegt immer auch das Wort scheiden, sich also von Dingen zu trennen. Das Trennen ist oft hart. Viele von uns entscheiden deshalb gar nicht erst, weil sie Angst haben, sich falsch zu entscheiden.

Entscheiden ist immer eine Reise ins Ungewisse. Aber genau darin liegt der Reiz. Sich entscheiden und Ballast abzuwerfen, das bedeutet nämlich zugleich Raum zu schaffen für etwas Neues. Vor vielen Jahren habe ich eine Dame porträtiert, die nach einem erfüllten Leben mit Anfang 60 ihr geliebtes Haus aufgegeben hat, um in eine kleine Wohnung zu ziehen, die an eine Senioreneinrichtung angegliedert war. Als ich sie besuchte, fiel mir auf, dass die Frau fast in jedem Regal nur die linke Hälfte voll gestellt hatte. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie: „Wissen Sie, ich habe unser Haus ausgemistet. Das war die Hölle. Und jetzt sehen Sie im Regal das, was ich mitgebracht habe und was bleiben soll. Und es ist da jetzt zugleich ganz viel Platz für Neues. Genau darauf habe ich Lust.“ Wie sehr diese Frau durch ihr Haltung erleichtert war, das hat mich tief beeindruckt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert