Neulich musste ich an Muhammad Ali denken, der eigentlich Cassius Clay hieß. Zu Beginn seiner Karriere wurde Ali noch als Großmaul abgetan. Ein schwarzer Sportler, der Gesellschaftskritik übte und offensiv auf seine Rechte pochte – das war damals in den sechziger Jahren „to much“ für Amerika. Später nannte man Ali den größten Boxer aller Zeiten und als betagter Mann durfte Cassius Clay, der nur durch Zufall zu seinem Sport gekommen war, sogar das olympische Feuer tragen. Dabei hatte 1954 alles mit einem Diebstahl begonnen. Cassius Clay, zwölf Jahre alt, wurde sein nagelneues Rad geklaut. Er kontaktierte einen Polizisten, pochte auf eine sofortige Fahndung und drohte dem Dieb Prügel an. „Weißt du überhaupt, wie man kämpft?“, fragte ihn der Polizist Joe Martin, der in seiner Freizeit ein Boxzentrum leitete. „Nein, aber ich würde es trotzdem machen“, lautete Clays Antwort. Martin schlug dem jungen Clay vor, ein Probetraining zu absolvieren. Wenige Wochen später bestritt der Halbwüchsige seinen ersten Kampf. Er gewann nach Punkten, und als der Schiedsrichter seinen Arm hochhielt, da brüllte Clay durch die Halle: „Seht mich gut an. Bald werde ich der Größte aller Zeiten sein!“
Wie sind wir jetzt gleich ins Plaudern gekommen? Ach ja: Mohamed Ali. Dieser Name fiel mir neulich in der Stuttgarter Zeitung auf. Allerdings handelte es sich nicht um einen Bericht über den vermeintlich falsch geschriebenen Boxer Muhammad Ali, sondern um ein Interview mit Amira Mohamed Ali. Die 44-jährige Juristin aus Oldenburg ist sozusagen die rechte Faust von Sahra Wagenknecht, der Gründerin der nach ihr benannten Partei „BSW“, also Bündnis Sahra Wagenknecht. Mohamed Ali, die Juristin aus Oldenburg, ist die designierte Vorsitzende der neuen Partei, die auf viele Stimmen von Frustrierten hofft. Und an Frustrierten fehlt es derzeit in dieser Gesellschaft bekanntlich nicht. Allerdings sollte man sich davor hüten, alle die am linken Spektrum sind oder alle, die am rechten Spektrum wirken, über den allzu schlichten Kamm zu scheren. Sowohl bei der AfD als auch in der BSW gibt es Menschen, die nicht verblendet sind, sondern sich vielleicht mit den falschen Leuten eingelassen haben. Damit kein falscher Zungenschlag entsteht: mir persönlich sind beide Parteien wie Spitzgras. Aber darum geht es an dieser Stelle nicht. Es geht vielmehr um die politisch und gesellschaftlich brisante Frage, warum so viele Menschen politisch vermehrt den Extremen zuneigen.
Ein Teil der AfD ist gewiss rechtsextrem. Und ein Teil der Truppe um Sahra Wagenknecht ist extrem weit links. Zu einem guten Teil sind allerdings die Leute in beiden Parteien weder das eine noch das andere. Und deshalb sollte man vielleicht im Umgang mit Parteien wie AfD und BSW als Andersdenkender nicht unbedingt angewidert weghören, sondern eher genauer hinhören. Denn manches, was dort gesagt wird, spiegelt Meinungen wider, die weit verbreitet sind in dieser Gesellschaft, ob man das nun gut findet oder nicht. Amira Mohamed Ali sagte im besagten Interview, in dem es auch um die AfD ging, etwas Bemerkenswertes: „Die AfD hat ihre Umfragewerte seit Beginn der Ampelkoalition verdoppelt. Inzwischen gibt fast ein Viertel der Befragten an, die AfD wählen zu wollen. Diese Menschen sind nicht plötzlich alle rechtsextrem geworden, sondern haben die Nase gestrichen voll von einer arroganten Politik, die nahezu nichts für sie tut, dafür aber regelmäßig belehren will, wie man richtig spricht, richtig isst oder richtig heizt.“ Wumms. Das ist klar gesprochen. Ehrlich gesagt, ist das auch für Ohren in der Mitte der Gesellschaft womöglich nicht ganz verkehrt, auch wenn es aus dem Munde einer Politikerin kommt, die am linken Rand der Gesellschaft um die Gunst der Wählerschaft fischt. Muhammad Ali, der Boxer, hat im Sport die Fäuste sprechen lassen. Wir sollten die Leute wieder sprechen lassen, auch wenn wir die Fäuste in den Taschen ballen. Wir sollten die politische Auseinandersetzung suchen, gerade wenn wir nicht teilen, was die Parteigänger am Rande des Spektrums behaupten. Und wir sollten uns bewusst machen, dass die Erstarkung der Extremen immer auch mit Schwächen der Etablierten zu tun hat. Die Ampelkoalition kann – wie auch die CDU – im Kampf gegen die Abwanderung der Massen in die Extreme selbst durchaus einiges tun. Zum Beispiel, eine bessere Politik anbieten.