Eine Frage des Geschmacks

Geschmack ist, wie man weiß, durchaus subjektiv. Was wir schmecken, ist überschaubar: süß, salzig, sauer, bitter und umami, also fleischig und herzhaft. Die feine Zunge hat dabei sensible Helfer. Das Schmecken und Bewerten von Speisen ist komplexe Teamarbeit, an der auch die Nase beteiligt ist. Die Lippen spielen eine Rolle und die Augen, die das Menü auf ihre Weise kontrollieren. Es ist womöglich lebenswichtig, wenn die vorkostenden Türsteher dafür sorgen, dass nur jene Zutaten eingelassen werden, die verträglich sind, uns nicht den Abend verderben oder uns ins jenseits befördern.

Der Geschmackssinn ist mehr als alles andere auch ein Wächter. Drückt er den Knopf, spucken wir aus, was schwer verdaulich sein könnte. Wie wichtig diese Sinne sind, wurde nicht wenigen Menschen bewusst, als sie nach einer Corona-Erkrankung plötzlich kaum noch riechen konnten und alles für sie nahezu gleich schmeckte. Sie berichteten oft, dass sie eigentlich nur die Erinnerung am Tisch hält. So hat Bolognese früher geschmeckt! Geschmack ist letztlich immer auch ein Speicher unserer Empfindungen und Erinnerungen. Nicht von ungefähr gibt es Gerüche, die uns so stark geprägt haben, dass wir uns sofort in eine Zeit oder an einen Ort zurückversetzen können, an dem wir das erste Mal damit zu tun hatten.

Wie sehr das Schmecken auch Täuschungen unterliegt, mag derjenige sich bewusst machen, der von der afrikanischen Wunderbeere nascht. Bereits kurz nach dem Genuss der Frucht verändert sich das Geschmackserleben und plötzlich schmeckt superscharfer Tabasco süß und auch die Zitrone ist nicht mehr sauer, sondern wie Schokolade. Zum Glück hält die Wirkung nicht allzu lange vor. Manchmal entsteht der Eindruck, dass wir die Geschmacksknospen im Alltag nicht wirklich düngen. Es wird gesalzen und gepfeffert, dass kaum noch etwas übrig ist vom ursprünglichen Geschmack des Produkts, das wir gerade auf dem Teller haben. Feine Aromen werden oft überlagert von Soßen oder starken Gewürzen. Statt einen Weißfisch wie den Red Snapper noch ein letztes Mal zu feiern, wenn er auf dem Teller liegt, betten wir ihn in Knoblauch und schmecken am Ende nicht mehr viel von dem, was unseren Fisch wirklich ausgemacht hat.

Manche von uns glauben, dass sie alles herausschmecken können. Das erweist sich bisweilen als Irrtum. Dieser Sinn nämlich muss trainiert werden und nicht selten verlassen sich sogenannte Experten auch auf andere Sinne wie das Sehen. Selbst gute Weintester können in Nöte kommen, wenn Ihnen die optischen Informationen fehlen. Bei einer Blind-Verkostung verwechseln sie mitunter sogar den Rotwein mit dem Weißen. Ist alles schon vorgekommen. Eine Untersuchung hat ergeben, dass Testpersonen exakt den gleichen Wein bei unterschiedlichem Licht unterschiedlich schmeckten. Konsumierten sie den edlen Tropfen bei rotem Licht, empfanden sie ihn als süßer und waren dann auch bereit, mehr für diesen Wein zu bezahlen.

Es wäre ein schönes Ziel, wenn wir wieder genauer hinschmecken würden, analog zum genauen Hinhören. Es gibt Speisen, die man mit der Zeit vergisst. Und es gibt Speisen, mit denen man die Zeit vergisst. Vielleicht wagen wir es, ein bisschen mehr zu experimentieren? Manche Kombination, so scheint es, kann nur Gott erfunden haben. Eier mit Speck, weiße Trüffel mit Pasta, Erdbeeren mit Sahne. Der leidenschaftliche Erforscher der Sinne, so schrieb es einmal John Lancaster, wird das erste Erleben jeder diese Kombination niemals vergessen, weil sie sich „mit der Entdeckung eines neuen Planeten durch einen Astronomen vergleichen lassen“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert