Die Sache mit der Moral

Es gibt Sätze, deren Botschaft zeitlos scheint. Bertolt Brecht hat einmal gesagt, dass uns Menschen mitunter das Hemd näher sei als die Hose. Er formulierte das ein bisschen anders: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Mit der Moral ist das in Hochzeiten des Moralisierens so eine Sache. Vor allem dann, wenn es um die eigene Moral geht. Wie sind wir jetzt gleich ins Plaudern gekommen?

Neulich ließen zwei Klimakämpfer aufhorchen, die vom fernen Thailand aus für Schlagzeilen in Stuttgart sorgten. Was war passiert? Ein 22 Jahre alte Demonstrant, der sich im September vorigen Jahres mit anderen auf der Bundesstraße 10 in Stuttgart niedergelassen hatte, flog ein paar Wochen danach mit seiner Freundin nach Asien, um dort eine gute Zeit zu haben. Das wäre an sich nicht weiter aufgefallen, wenn der Mann nicht für ein besseres Klima demonstriert hätte, das zumindest durch seinen Langstreckenflug nicht nachhaltig verbessert wird. Der Klimaaktivist hatte mit der Aktion die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf sich ziehen wollen, was ihm mit seinen Freunden auch gelungen ist, denn es kam zu immens langen Staus am Leuze-Knoten. Dies hatte wiederum jetzt am Amtsgericht Bad Cannstatt ein Nachspiel. Doch der Klimakämpfer erschien nicht vor Gericht, und auch eine geladene Zeugin, die Freundin des Beschuldigten, fehlte beim Prozess. Öffentlich gemacht wurde das durch die Bild-Zeitung, die sich mit den Folgen von Langstreckenflügen beschäftigt hatte. Oh weh!

Um ehrlich zu sein, habe ich Respekt vor Klimaschützen und versuche selbst einer zu sein, im Rahmen dessen, was mir möglich ist. Und ich finde, es ist nicht unbedingt als Doppelmoral zu sehen, wenn jemand auf der einen Seite versucht, den Klimakollaps zu vermeiden, indem er demonstriert – und zugleich sein eigenes Leben nur bedingt umstellt, also beispielsweise weiter nach Thailand fliegt. Es ist nämlich tatsächlich nicht eine zwingende Voraussetzung, selbst wie ein Heiliger zu leben, wenn man nur ein Teilzeit-Heiliger sein möchte. Was mich allerdings weit mehr stört ist das fehlende Verantwortungsbewusstsein der beiden Klimaaktivisten. Wenn sie sich entscheiden, Straßen zu blockieren und zu protestieren, dann gehört es in der Folge auch dazu, die Verantwortung dafür zu tragen, und sich notfalls auch der juristischen Aufarbeitung zu stellen. Das kann durchaus auch eine gute Plattform sein, eine bessere vielleicht, als eine graue Bundesstraße. Sich in Thailand zu verkriechen, während hier ein Gericht tagt, empfinde ich als wenig standhaft. Solche Feigheiten gibt es schon länger, sie sind also keineswegs typisch für die jungen Menschen, die jetzt auf die Straße gehen und die meinen Respekt haben. Das macht es allerdings nicht wirklich besser. Wer sich zu einem solchen Protest entschließt, der weiß, was er tut und sollte sich in der Folge nicht wegducken. Bertolt Brecht hat einmal gesagt, dass sich manche Dinge wohl nie ändern. Er formulierte das ein bisschen anders: „Dauerten wir unendlich, so wandelte sich alles. Da wir aber endlich sind, bleibt vieles beim Alten.“ In der Tat!

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