für zwei Wochen war ich im Juli 2022 im Zeichen der Muschel unterwegs und die Erkenntnisse, die ich aus diesem mehr als 300 Kilometer langen „Camino“ für mich gezogen habe, sind höchst vielfältig. Aus meinen Aufzeichnungen ist eine kleine Serie von fünf Folgen über meinen persönlichen Jakobsweg entstanden. Folge 3:
Ende ist am Schluss.
O lala. Die Dame vor mir kämpfte sich in sengender Hitze der Stadt Ponferrada entgegen. „C’est chaud“, stöhnte die Französin. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählte mir, dass sie gerade in den Ruhestand gegangen sei und jetzt den ganzen Camino gehe. Ruhestand ist in Frankreich aktuell bei 62. Unsereiner muss da fünf Jahre länger im Geschirr bleiben. Seit mehr als zwei Monaten war Madame unterwegs. Ich fragte sie, wann sie denn wieder nach Hause fliege. Sie schaute mich erstaunt an, ein bisschen so, als wäre ich ein Außerirdischer und sprach: „Wenn es getan ist, dann ist schluss. Dann ist es das Ende. Und dann fliege ich nach Hause!“
Wie selbstverständlich war es für diese Pilgerin, erst dann über das Finale ihrer Reise nachzudenken, wenn sie am Ziel angekommen ist. die nach Hause Weg antritt, wenn der Kamin zu Ende ist. Plötzlich klingelte ihr Handy. Der Ehemann, der in Frankreich geblieben war, erkundigte sich, wie lange die werte Gattin noch bis zum Ende dieser Etappe benötigen würde. Sie gab ihm ein paar Küsse und die gleiche Antwort wie mir. Ende ist am Schluss. Weil der Weg an diesem Tag hart war, begann ich ein paar alte Chansons vor mich hinzusingen. Georges Moustaki. „Ma Liberté/ C’est toi qui m’a aidé/
à larger les amarres./Pour aller n’import où/pour aller jusqu’au bout des chemins de fortune.“ Das Lied habe ich mal im Französisch-Leistungskurs auseinander genommen. Und weil es darin um Freiheit und um die Wege ges Glücks ging, kam mir der Text in den Sinn. Die Französin strahlte übers ganze Gesicht. Das war ihre Musik. Zu Hause bei mir würden sie wegrennen, wenn ich diese Zeilen singe. Hier lief eine nette Französin begeistert neben mir her und sang mit mir alte Lieder von Georges Moustaki. O Camino!
Die Französin beobachtete, wie ich kurz auf mein Smartphone lugte, um zu schauen, ob wir auf dem richtigen Weg in die aufgeheizte Stadt sind. Sie sagte mir, das sie auch so ein Ding habe, aber eigentlich nie nutze. Die gelben Pfeile am Wegesrand täten es auch. Und selbst wenn sie sich mal verlaufe, finde sie zurück auf den Weg. Auch das sei der Camino. Apropos Smartphone. Auf dem Camino ist das kleine Wunderding in vielerlei Weise sehr nützlich. Ich war in einer Unterkunft, in der das Licht nicht ging. Also bin ich morgens mit dem Handy als Taschenlampe auf die Toilette gegangen und habe auch meine Sachen mit Hilfe der Taschenlampe sehr früh gepackt, so dass ich um 5.30 Uhr das Haus verlassen konnte. Das Handy ist auch gut fürs Buchen von Unterkünften, für Fotos und manchmal für Musik. Und natürlich hat fast jeder hier eine Camino-App. Die spannende Frage ist, wie man mit dem Handy umgeht. Nach der Begegnung mit der Französin benutzte ich mein Navi nur noch, um die Unterkunft zu finden und hielt mich ansonsten an die gelben Pfeile. Auch die führen zum Ziel. Und Ende ist am Schluss. Der Weg ist zu Ende, wenn der Weg zu Ende ist. Buen camino.