Liebe Lesende,
ältere Semester mögen sie noch kennen, die Geschichte vom Zappel-Philipp. Der Kerl kann einfach nicht still sitzen. Ständig muss er irgendwas tun. Also schaukelt er und zappelt und trappelt. Seine Eltern verzweifeln daran und fragen sich jeden Tag aufs Neue:
„Ob der Philipp heute still/wohl bei Tische sitzen will?“
Jetzt mal ehrlich, sind wir nicht alle ein bisschen Zappel-Philipp. Oder anders gefragt: wer beherrscht eigentlich noch die hohe Kunst des Nichtstuns? In Holland sind Ampeln auf den Boden verlegt worden, weil die Menschen, selbst beim Überqueren der Straße, aufs Handy schauen. Sie halten es nicht aus, einfach mal nur dazustehen und zu warten, bis sie gehen können. Sie zappeln auf die moderne Art. Das Zappeln von früher ist das zappen von heute. Stets wird getippt und getippelt. Hier noch eine whatsapp, dazwischen die Nachrichten checken und die Aktienkurse. Kaum jemand hält diesen kleinen Moment des Nichtstuns aus. Stattdessen beschäftigen wir permanent unser Gehirn, auf dass uns Dopamin durch den Körper schießt. Jeder neue Reiz ein neuer Schuss.
Vor einige Jahren habe ich mit Yoga begonnen. Die Entspannungseinheit am Anfang und am Ende war zunächst für mich buchstäblich die Hölle. „Shavasana“, nennen das die Yogis. Shavasana bedeutet übersetzt „Totenhaltung“, denn in Shavasana ist das Nichtstun höchste Pflicht. O je, wie habe ich gelitten. Da kommt man aus dem stressigen Alltag, stellt seine beiden Smartphones auf lautlos und dann soll man regungslos auf einer Gummimatte liegen und nichts tun. Wie oft habe ich anfangs gedacht, dass ich mich unter einem Vorwand einfach abhauen möchte. Zurück in den altbewährten Zappel-Philipp-Modus. Es hat buchstäblich weh getan, nichts tun zu können.
Dabei bietet das Nichtstun so viel. Es bietet den Raum, sich selbst zu spüren, mit sich selbst in Kontakt zu kommen, die wesentlichen Fragen direkt zu klären, in sich und mit sich. Manchmal kommt dann plötzlich ein seltsames Freundschaftsangebot, ganz ohne Handy. Es ist das Freundschaftsangebot an sich selbst! Man liegt da und fängt an, sich mit dem eigenen Ich zu befreunden.
Wie sind wir jetzt ins Plaudern gekommen? Ach ja, die Stadt Heilbronn! Dort, wo Lidl und Kaufland sitzen und die Welt mit Nahrungsmittel versorgen, wird jetzt der Wettbewerb des Nichtstuns ausgelobt. Heilbronn ist für ein Jahr lang „Hauptstadt der Folgenlosigkeit“. Wer bewusst auf Dinge verzichtet, kann ein „Stipendium fürs Nicht(s)tun“ über 5.000 Euro bekommen.
„Schaffe, schaffe Häusle baue“, ist so etwas wie die schwäbische Urformel. Und ausgerechnet in diesen Breitengraden erklärt sich eine Stadt zur Hochburg des Müßiggangs, zum Mekka des Nichtstuns. Respekt, den Heilbronnern. Wie sieht ein Leben aus, das keine negativen Folgen für andere Menschen, Lebewesen, Materie und damit auch für eine Stadtgesellschaft hat? Eine interessante Frage, die man sich am Besten in totaler Ruhe stellt. Kein leichtes Unterfangen. Nichtstun ist nicht nur segensreich, sondern eben manchmal auch saumäßig anstrengend!