Wenn du denkst du denkst

Liebe Lesende,

ist es nicht erstaunlich: unser Gehirn wiegt nur rund 1,5 Kilo, verbraucht aber bis zu 30 Prozent der gesamten Körperenergie. Was da oben abgeht, ist folglich durchaus vielschichtig und findet auf verschiedenen Ebenen statt. Hier wird so gedacht, dort anders. Der eine Teil, nennen wir ihn Cortie, steht auf logisches und abstraktes Denken, auf Planung, auf Kontrolle und vor allem auf Sprache. Man kann recht gut mit Cortie in den Dialog treten. Blöd ist nur, dass er glaubt, im Zentrum des Oberstübchen-Geschehens zu stehen und alles im Griff zu haben. Tut er aber nicht! Denn der wahre Held da oben ist Limbie, der affenartig schnell ist, ohne willentliche Steuerung agiert, Erfahrungen emotional etikettiert.

Limbie ist der Ort, an dem Eindrücke und Gefühle wohnen, die Hauptquellen der bewussten Entscheidungen von Cortie. Weil das so ist, bestimmt letztlich Limbie sehr viel von uns, ohne dass uns bewusst wäre, was da abgeht. Die Wechselwirkung zwischen den beiden Ebenen, von Limbie und Cortie,  ist eine der großen Mysterien der Hirnforschung. Nebenbei verdienen Kohorten von Coaches ihren Lebensunterhalt mit den beiden, wobei nicht selten lang anhaltende Beziehungen zu Klienten darauf zurückzuführen sind, dass beständig auf die falsche Ebene eingeredet wird. Limbie reagiert nicht auf Sprache. Er hält sich quasi die Ohren zu. Da kann man noch so gut die Botschaften wägen: sie verfehlen ihr Ziel!

Wie sind wir jetzt so nett ins Plaudern gekommen? Ach ja, das Denken! Es ist ein Kunst für sich und allzu häufig denken die einen von den anderen, dass sie des Denkens nicht mächtig seien und stufen sie folglich als doof ein. Im schubladisierten Bildungsbetrieb passiert das gerne und oft. Vielleicht klingt deshalb die Geschichte, die über Thomas Edison erzählt wird, so schön. Edison erfand das elektrische Licht, war ein Meister unter den Erfindern und auch ein weitsichtiger Unternehmer –  jedenfalls im Rückblick betrachtet. Zu Schulzeiten sah das etwas anders aus. Edison soll eines Tages von der Schule nach Hause gekommen sein, so wird berichtet, und seiner Mutter einen Brief des Rektors überreicht haben. Die Mutter soll dem jungen Thomas die Botschaft der Schule mit Tränen in den Augen laut vorgelesen haben: „Ihr Sohn ist ein Genie. Diese Schule ist zu klein für ihn und hat keine Lehrer, die gut genug sind, ihn zu unterrichten. Bitte unterrichten Sie ihn selbst.“

Viele Jahre nach dem Tod der Mutter – Thomas Edison war inzwischen einer der größten Erfinder des Jahrhunderts – durchsuchte er laut der Legende alte Familiensachen. Plötzlich soll der Erfinder in einer Schreibtischschublade auf ein zusammengefaltetes Blatt Papier gestoßen sein. Darauf stand die Botschaft, die ihm der Rektor seinerzeit mitgegeben hatte: „Ihr Sohn ist geistig behindert. Für ihn ist leider kein Platz mehr an unserer Schule.“ So ist das mit dem Denken. Es greift manchmal zu kurz. Vorsicht geboten ist bei vorauseilenden Befunden. Fast jeder von uns kann von solchen Bewertungen aus der Schule berichten. Sie erweisen sich, siehe Edison, oft als wenig hilfreich und belastbar.

Vermeintlich Dumme sind mitunter klüger als man denkt, wozu eine hübsche Geschichte passt, die sich vielleicht so nie zugetragen hat, aber umso wahrer sein könnte. Sie handelt von einem kleinen Jungen, der häufig an einem Frisörladen vorbeikommt. Als der Inhaber ihn sieht, flüstert er seinem Kunden zu:„Er ist das dümmste Kind der Stadt. Warten Sie, ich beweise es Ihnen.“ Der Frisör ruft den Jungen zu sich, nimmt einen Fünf-Euro-Schein in die eine Hand und zwei Eurostücke in die andere und hält die Hände offen vor sich hin. Dann fragt er das Kind: „Na, Junge, aus welcher Hand möchtest du nehmen? Such dir eine aus!“ Freudig nimmt der Bub die beiden Münzen und geht weiter. Der Frisör schüttelt den Kopf, dreht sich zu seinem Kunden und sagt: „Sehen Sie! Der ist strunzdoof!“

Nachdem der Kunde fertig frisiert ist, verlässt er den Laden. Draußen sieht er den Jungen vor einer Eisdiele sitzen. Er geht hinüber und fragt neugierig: „Sag mal Kleiner, warum nimmst du denn lieber die zwei Euro anstatt die fünf Euro?“ Der Junge leckt zufrieden an seinem Eis und sagt lächelnd: „Naja, an dem Tag, an dem ich die fünf Euro nehme, ist das Spiel ja vorbei.“

Fürwahr ein schlaues Bürschle, bei dem Limbie und Cortie bestens harmonieren. Sollen die anderen doch denken, was sie wollen! 

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