Artenschutz für gute Typen

Fangen wir diese Zeilen mit der Schnecke an. Die Evolution hat ihr auferlegt, fest verwachsen zu sein mit ihrer Immobilie, die sie immer und überall mit sich herum trägt. Ein archaisch anmutendes, äußerst behäbiges Wesen, das in seinem eigenen Kosmos lebt, sich bei jedem kleinsten Widerstand ins Schneckenhaus verkriecht und von außen betrachtet keinesfalls in diese schnelllebige Zeit passt. Würde man die Schnecken an den Maßstäben dieser Zeit messen, wären sie Auslaufmodelle. Man würde sie vermutlich zum Psychiater schicken, und dann würde man den Schnecken in einer langen und vermutlich auch kostspieligen Therapie erklären, wo ihre Schwächen liegen. Dabei sind die Stärken der Schnecke durchaus offenkundig, wenn man sich nur die Zeit nimmt, genau hinzuschauen. Schnecken sind sehr sozial, sie helfen sich gegenseitig, wenn sie Hindernisse überwinden müssen. Sie können selbst über schärfste Messerklingen kriechen, ohne sich zu verletzen. In den fast 600 Millionen Jahren ihrer Entwicklung haben sie sich in fast jedem Lebensraum eingerichtet. Man findet sie nicht nur in den Meeren und im Süßwasser, sondern auch an Land auf fast allen Kontinenten. Man könnte also sagen, sie haben auf ihre Art eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte. Ähnlich verhält es sich mit dem Kiwi, der gleichermaßen einzigartig ist. Eine anmutige Schönheit ist er vielleicht nicht, dieser Kiwi. Er ist von unförmiger Gestalt, sein Gefieder ist zottelig und erinnert eher an Fell als an Federn. Sein Ruf klingt wie das Grunzen eines Schweins. Und dann scheint er auch noch manchmal die Balance zu verlieren, wenn er sich hoppelnd am Boden vorwärts bewegt. Und trotz allem hat er sich behauptet und es sogar bis zum Nationaltier gebracht. Die Neuseeländer sind stolz auf ihren flugunfähigen Sonderling – so stolz, dass sie sich selbst Kiwis nennen und den Laufvogel zu ihrem Wappentier gemacht haben. Vom Schuhputzmittel „Kiwi Shoe Polish“ über Kiwi-Briefmarken bis hin zu Banken wie die „Kiwibank“ – fast alles hat mit diesem kleinen Vogel zu tun. Aus Liebe zu dem Tier wurde sogar eine Frucht benannt, die auch bei uns bekannt ist. Die Kiwi!

Wie sind wir jetzt gleich ins Plaudern gekommen? Ach ja: einzigartige Typen. Franz Beckenbauer war so ein Typ. Eine Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Diesen Ruf hat er sich hart erarbeitet. Wir haben nicht allzu viele solcher Typen und leider gehen wir oft nicht pfleglich mit ihnen um. Wenn einer in diesem Land über Jahrzehnte einen guten Job gemacht hat und begeht dann einen Fehler, so gehört es zu den journalistischen Gepflogenheiten, fast nur noch den Fehler zu sehen und dahinter die Lebensleistung zu verschatten. Das ist schade. Eine Affäre – und schwupp ist alles andere vergessen. Vielleicht sollten wir ein bisschen unsere allzu moralischen Maßstäbe hinterfragen. Menschen machen Fehler. Und Fehler sollen benannt werden. Jene, die sie begangen haben, müssen dafür die Verantwortung tragen. Gesellschaftlich tragen wir allerdings auch Verantwortung. Verantwortung dafür, verhältnismäßig zu urteilen. Das passiert leider viel zu selten. Die Schnecke ist gewiss nicht perfekt. Und der Kiwi kann nicht mal fliegen. Großartig sind sie trotzdem!