Erwin Teufel, der einer Bauernfamilie entstammt, war einst nicht nur Deutschlands jüngster Bürgermeister, er brachte es später auch zum Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg. Ich habe ein Buch über ihn geschrieben, gemeinsam mit meinem Freund Thomas Durchdenwald. Wir saßen gelegentlich bei ihm in Spaichingen und manchmal zeigte er uns seine wahren Schätze: Bücher, Bücher und nochmal Bücher. Als er 2005 als Ministerpräsident abtrat, folgten ihm in Stuttgart erst Günther Oettinger, dann Stefan Mappus, beide CDU. Von Letzterem ist nicht bekannt, wieviele Bücher er gelesen hat. Bekannt ist nur, dass die CDU nach seiner Amtszeit heftig abrutschte und in Winfried Kretschmann beständig ein Grüner das Land regiert. Die CDU sucht seitdem nicht nur in Baden-Württemberg eine neue Basis für ihr Wirken. Wie sind wir jetzt gleich so politisch ins Plaudern gekommen? Ach ja: Grundsatzprogramme!
Jetzt wurde in Berlin der Entwurf für das neue CDU-Grundsatzprogramm vorgestellt – und prompt gab es Reaktionen. In dem Papier wird unter anderem argumentiert, dass all jene, die in dieser Republik leben wollen, unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen müssen. „Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden.“ Islamverbände kritisieren das Papier und stören sich an Formulierungen, in denen es um die von der Partei angesprochene Wertekultur geht. So heißt es in dem Entwurf: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, stört sich an diesem Satz. Er wirft der Partei vor, mit der Formulierung am rechten Wählerrand zu fischen. So weit, so interessant.
Nach Hochrechnungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2021 lebten 2019 zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Muslime in Deutschland. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag zwischen 6,4 Prozent und 6,7 Prozent. Im Vergleich zur letzten Schätzung im Jahr 2015 ist die Zahl der muslimischen Religionsangehörigen in Deutschland um rund 900.000 Personen gestiegen. Das sind die Zahlen. Zu den Fakten gehört, dass die weit überwiegende Mehrheit der stark wachsenden Gruppe der Muslime in Deutschland die Werte der Bundesrepublik teilen. Es gibt allerdings auch Muslime, die das nicht tun und beispielsweise darauf hinwirken, dass hierzulande seit Generationen verwendete Begrüßungsformeln wie „Grüß Gott“ in Schulen verboten werden. Erwin Teufel stellen sich dabei vermutlich die Nackenhaare. 2011 hat er in Berlin vor der Seniorenunion eine Rede gehalten, für die sich damals zunächst kaum jemand interessierte, ehe Volker Zastrow von der FAZ-Sonntagszeitung gemeinsam mit mir zwei Wochen später ein Interview mit ihm dazu führten. In der Folge rumorte es im politischen Berlin. Denn Teufel hat genau das angesprochen, was jetzt wieder salonfähig wird in christdemokratischen Zirkeln. Wörtlich sagte er:
„Die CDU hat nur zwei Möglichkeiten, aber nicht drei. Die CDU kann sich in Zukunft am „C“ orientieren, oder sie kann das „C“ aufgeben, aber es gibt keinen dritten Weg. Sie darf nicht das „C“ im Schilde führen, wenn sie sich nicht an ihm orientiert.“
Diese Worte habe ich nicht vergessen. Sie trafen und Treffen den Kern. Die CDU hat als Partei die Erkenntnis, die in Erwin Teufels zwölf Jahre alter Botschaft steckt, in den Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms eingewoben. Ein bisschen spät, aber immerhin!