Bildung mal ganz anders

Meinungen sind schlau, heißt es. Weil sie sich bilden. In der experimenta in Heilbronn denken sie Bildung ganz neu. Erleben schafft Wissen. Das ist die Philosophie im größten Science Center Deutschlands. Man kann dort Sterne angeln, sich in virtuellen Räumen bewegen, Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit suchen oder sich ganz banalen Überlegungen stellen wie jener, wann eine Banane tot ist. Wie fühlt es sich im Auge des Sturms an? Wie sieht ein Körper aus, wenn er sich in Eis oder Gummi verwandelt? Die Welt ist voller Fragen. Es kann Spaß machen, nach Antworten zu suchen. Und wenn man Lust hat, das Ganze später nochmal anzuschauen, was man in Heilbronn so gemacht hat, speichert man alles was geboten wird an 275 Mitmachstationen rund um Technik und Naturwissenschaft im digitalen Rucksack ab. Lernen mal anders.

Wie sich wir jetzt gleich ins Plaudern gekommen: Ach ja: Bildung. Ich habe mir jetzt ein T-Shirt bedrucken lassen, um einen kleinen Beitrag zur politischen Bildung zu leisten. „Nawalny“ steht da drauf. Einige meiner Freunde haben mich gefragt, was das soll. Ich habe ihnen dann ein bisschen erzählt von Alexei Anatoljewitsch Nawalny, der irgendwo im Schwarzwald gemütlich als politisch Verfolgter sein wohlverdientes Asyl genießen könnte, stattdessen aber in der Strafkolonie IK-6 rund 250 Kilometer östlich von Moskau zu überleben versucht. Das dortige Gefängnis ist für die Strenge und Willkür des Personals bekannt. Schon vor Jahren wurde über Folter, Schläge und unmenschliche Haftbedingungen in dem Lager berichtet. Nawalny ist der wohl namhafteste Kritiker von Wladimir Putin. Und namhafte Kritiker von Wladimir Putin werden gerne mal vergiftet oder langsam gebrochen in einem Straflager.

Das alles steht nicht auf meinem T-Shirt. Aber wenn mich jemand fragt, und das kommt häufiger vor, dann erzähle ich gerne ein bisschen davon, wie der Jurist Nawalny einst in Russland Zehntausende Menschen zu Demonstrationen auf die Straße brachte und davon, wie Herr Putin mit Oppositionellen umgeht und mit Menschen, die gerne ihre Meinung frei äußern würden. Solche Typen mag der russische Präsident so sehr wie Nervengift. Herr Nawalny wurde bei einer Reise nach Sibirien mit einem Nervenkampfstoff in Berührung gebracht. Er hat das nur knapp überlebt. In Deutschland ist er danach monatelang behandelt worden. Anschließend kehrte er dann freiwillig nach Moskau zurück, obwohl er ahnte, was der russische Staat mit ihm machen würde.

Nawalny hat sich gestellt, weil er dazu beitragen möchte, dass dieses großartige Land auch eines Tages wieder einmal großartig regiert wird von demokratischen Menschen, die nicht einfach in die Ukraine einmarschieren. Herr Nawalny ist neulich von einem russischen Gericht zu 19 Jahren Haft verurteilt worden. Unsere Außenministerin Annalena Baerbock warf Russland „Willkürjustiz“ vor. Die Freiheitsstrafe sei „blankes Unrecht“. Wladimir Putin fürchte nichts mehr als das offene Eintreten für Demokratie – selbst aus der Gefängniszelle heraus. Er werde damit kritische Stimmen nicht zum Schweigen bringen, fügte sie hinzu. Die guten Worte unserer Außenministerin werden ebenso wenig an Nawalnys Leid ändern wie mein T-Shirt. Kleine Tropfen im Fass des Nutzlosen? Irgendwann läuft es vielleicht über, dieses Fass. Wer weiß? Bis dahin kann ein wenig Bildung und Respekt nicht schaden. Respekt vor Alexei Anatoljewitsch Nawalny, der für seine Haltung im Straflager sitzt.

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