Augen auf für das, was wir Glück nennen

Besondere Augenblicke hatten auch schon die alten Griechen auf dem damals noch nicht vorhandenen Schirm. Sie hatten zwei Begriffe für das, was man Zeit nennt:  Chronos und Kairos. Als Chronos stuften sie jene Zeit ein, die ständig vergeht, woraus sich später auch der Chronometer ableitete, also die mechanische Uhr. Kairos hingegen ist in der griechischen Mythologie der Gott der günstigen Gelegenheit respektive des richtigen Augenblicks. Als jüngster Sohn des Zeus wurde Kairos, dargestellt mit einem kahlen Hinterkopf und langem Haarschopf zur Vorderseite des Kopfes, mit Flügeln an den Füßen, was für eine Schnelligkeit steht. Womöglich geht das Sprichwort „Die Gelegenheit beim Schopfe packen“ auf die Figur Kairos zurück. Man stelle sich den flüchtigen Gott vor, der plötzlich an uns Irdischen vorbeizieht, und wer schnell und klug ist, der hält ihn an seinem Schopf und nutzt die Gunst des Augenblicks. Manche erwischen allerdings nur den glatten Schädel und gehen somit leer aus. Der Augenblick ist ungenutzt an ihnen vorbeigezogen.

Wie sind wir jetzt ins Plaudern gekommen? Ach ja: Chancen nutzen. Ich habe einen Freund, der neulich mit 65 geheiratet hat. Als er mir das erste Mal von der Frau erzählt hat, mit der er jetzt den Bund fürs Leben geschlossen hat, da dachte ich: wie soll das gehen? Verschiedener können zwei Menschen kaum sein. Die beiden blieben zusammen und nutzen die Möglichkeit, miteinander zu wachsen. Irgendwann kam die Einladung zur kirchlichen Trauung. Wie ich da so saß in der Kirchenbank, da dachte ich an die vielbesungene Macht der Liebe. Tatsächlich vermag sie Berge zu versetzen und noch viel mehr. Dafür braucht es allerdings den Mut, sich der Magie des Augenblicks zu stellen. für den ersten Schritt. Wir Heutigen neigen womöglich dazu, oft zu lange zu überlegen. Dann ist der Kairosmoment vorbei und wir haben eine Chance verpasst, sei es beruflich oder privat. Das wiederum könnte auch an Chronos liegen, der uns ständig in Atem hält, so dass es uns an der nötigen Sensibilität für diesen einen, besonderen Moment fehlt. Wer sich zum Sklaven von Chronos macht und die Uhr permanent im Blick hat, reibt sich bei dem Versuch auf, die Zeit zu kompensieren. Kairos hingegen hat die nötige Zeit. Wer allein nach Chronos lebt, wer also nach der Uhr, dem Chronometer lebt, der hat nie Zeit, der ist immer gestresst und ärgert sich gerne darüber. Wer allerdings nach Kairos lebt, der hat die Zeit, die es braucht, um den Zeitpunkt nicht zu verpassen, an dem sich eine Türe wahlweise öffnet oder schließt.

In unserem Alltag trägt Kairos mancherlei Gewänder. Er steht für die eine Sekunde, in der es beruflich Klick macht ebenso wie für die Liebe auf den ersten Blick, für einen Moment der Intuition, in dem wir das Lenkrad herumreißen und sich unser Leben wendet.  Wann das passiert, können wir schwerlich vorausahnen. Gewiss ist nur, dass sich der Gott des Augenblicks nur jenen offenbart, die tatsächlich auch wirklich die Augen geöffnet haben.

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