Liebe Lesende,
ein Fischer liegt entspannt neben seinem kleinen Boot unter Palmen in der Sonne und lässt sich vom Rauschen der Wellen sanft einlullen, als ein Manager, der gerade Urlaub auf der Insel macht, entspannt vorbeischlendert. Der Manager erkundigt sich beim Fischer, ob er heute schon draußen gewesen sei. Der Fischer antwortet höflich, dass er am frühen Morgen bereits einige Fische gefangen habe. Der Manager will wissen, warum er dann nicht gleich nochmal aufs Meer hinausfahre? Daraus entspann sich folgender Dialog:
„Warum sollte ich das tun?“, fragt der Fischer.„Damit du noch mehr Fische fangen kannst“, antwortet der Manager.„Und damit du dann in der Folge ein größeres Boot kaufen kannst.“
„Warum sollte ich das tun?“, bleibt der Fischer bei seiner Frage. „Damit du mehr Geld verdienst und vielleicht auch bald deine eigene Fischfabrik bauen kannst“, kontert der Manager.„Und weshalb sollte ich das tun“, wiederholt der Fischer.„Damit du bald so viel Geld hast, dass du dich zur Ruhe setzen und in die Sonne legen kannst“, spricht der Manager. Darauf hebt der Fischer seinen Kopf und fragt seinerseits grinsend:„Und was genau mache ich hier gerade?“
Diese kleine Geschichte mag deutlich machen, dass wir Heutigen höchst unterschiedlich an die Herausforderungen des Alltags herangehen. Die einen leben in ihrer Zeit, während andere auf den Zeitpunkt des Zeithabens zeitsparend hinarbeiten und am Ende vielleicht nie die Fähigkeit erwerben, wirklich Zeit zu haben. Tatsächlich scheint es in dieser Gesellschaft der globalen Gleichzeitigkeit vor allem darum zu gehen, die Zeit dem Wachstum unterzuordnen. Diese Haltung ist nicht grundsätzlich verkehrt – sie hat uns Wohlstand beschert. Allerdings macht die Zeit etwas mit uns und die Frage, was wir aus der Zeit machen, scheint dahinter fast zu verblassen. Wie sonst ist es zu erklären, dass immer mehr Menschen in dieser Zeit kaputt gehen oder zumindest unter den obwaltenden Zeiterscheinungen leiden?
Wir sind darauf konditioniert, Ziele zu haben, etwas zu leisten innerhalb einer gewissen Zeit. Die meisten von uns sind so aufgewachsen. Man schuftet auf etwas hin, und dann ist es hoffentlich irgendwann da. Vielleicht eine Gehaltserhöhung oder ein Bonus. Dem folgt das Streben nach dem nächsten Bonus. Schließlich arbeitet man auf die Rente hin, und dann ist man im ersehnten Ruhestand und das wahre Leben fängt an. Ist das wirklich so? Viele, die so denken und handeln, haben nie wirklich gelernt, mit der Zeit so umzugehen, dass jeder Augenblick an sich das Sein ausmacht. Sie haben sich stattdessen auf das kommende Glück vorbereitet und dabei außer acht gelassen, dass es nicht irgendwann später einfach so kommt. Das Glück ist Jetzt. Und sonst ist es nirgendwo in der Zeit.
Manche sagen, sie könnten es sich schlicht nicht leisten, Zeit zu opfern fürs scheinbare Nichtstun, fürs Nachdenken über ihr Dasein, sie hätten keine freie Minute, um auf Entdeckungstour nach dem zu gehen, was gerade ist. Sie sagen, das gehe nicht, weil die Sorgen drücken und weil man schließlich auch wieder in den nächsten Urlaub gehen will, für den man sparen muss. Diesmal soll es noch ein bisschen weiter weg gehen, in ein besseres Hotel, und nächstes Mal dann noch weiter. Schade eigentlich. Es gibt viele tolle Hotels. Aber die besten Reiseziele und Unterkünfte finden sich nicht in Werbekatalogen von Reisebüros, sondern bei den Exkursionen zu sich selbst. Man muss nur hinsitzen und losfahren mit dem inneren Zug statt auf den Gleisen rumzustehen und sich Gedanken darüber zu machen, was alles sein könnte und was nicht ist, wie es sein soll.
Um ehrlich zu sein, ist es gar nicht so leicht, den Bahnhof zu finden, an dem dieser besondere Zug zu sich selbst abfährt. Die meisten Wegweiser führen irgendwohin, meistens zu den gängigen Zielen mit den einschlägigen Hotels, in denen wir uns ausruhen, aber leider nicht wirklich nachhaltig. Höher, weiter, schneller, teurer. Ich war schon an manchen Orten, viele Flugstunden entfernt. Die tollsten Erfahrungen und Bilder und Farben habe ich bei den Reisen zu mir selbst gesehen. Es ist alles da, jenseits der bekannten Landkarten.
Den Moment zu spüren, heißt, das Leben spüren. „Wenn Du ständig in Gedanken bist, ob negativ oder positiv, verpasst du das liebevolle Lächeln deiner Kinder, die Aufmerksamkeit deines Partners oder die Schönheit der Natur“, hat Jon Kabat-Zinn geschrieben, ein emeritierter Professor, der sich auf den Umgang mit Stress spezialisiert hat. Mit der Zeit werde der Mensch dann unzufrieden mit sich selbst. Die weitaus bessere Technik sei es, „den Moment zu genießen, das Gestern und Morgen nur ab und zu aus der Schublade zu holen“. Ein kluger Rat, wie ich finde. Das Leben besteht aus einer Folge von Momenten und jeder von ihnen ist wertvoll und einzigartig. Die Magie des Augenblicks. Wäre doch schade, sie zu verpassen.