Liebe Lesende,
es ist eine seltsame Zeit, wie ich finde. Vieles, was lange galt, gilt offenbar nicht mehr oder nur noch bedingt. Der Satz zum Beispiel: „Bildung ist der Rohstoff der Zukunft.“ Heute wäre eher treffender: „Wozu einen Abschluss, wenn es auch anders geht!“ Nicht von ungefähr hat es den Anschein, dass es derzeit eher hinderlich ist, wenn Mann oder Frau über Bildungsniveau verfügen. Das offenbart sich im Besonderen in der Politik und da speziell bei den Grünen. Nach oben kommen oft interessante Menschen, die recht keck damit umgehen, dass sie viel Erfahrungen gemacht haben, zu denen aber eben nicht zählt, das begonnene Studium auch beendet zu haben.
Um einen falscher Zungenschlag zu vermeiden: Quereinsteiger tun Politik und Wirtschaft oft gut, weil sie den Blick weiten. Man muss nicht unbedingt promoviert haben, um eine gute Rede zu halten oder eine prickelnde Idee zu haben. Allerdings ist ein gewisses Niveau in der Bildung auch nicht unbedingt ein Malus. Womit wir bei Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wären, die sich neulich zum deutschen Botschaftspersonal in der Ukraine sowie zum weiteren Vorgehen in der Krise äußerte, und die Entscheidung der USA kommentierte, einen Teil des Botschaftspersonals aus Kiew abzuziehen. Und also sprach die Bundesministerin des Auswärtigen einen recht schneidigen Satz: „Der härteste Knüppel wird am Ende nicht immer das intelligenteste Schwert sein.“
Ehrlich gesagt habe ich mich bei diesem Satz ein bisschen an das Niveau des Fußballer-Klassikers erinnert gefühlt: „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien.“ Dummerweise hat allerdings im Falle der „harten Knüppel“, die sich in „intelligente Schwerter“ verwandeln, kein Stürmer gesprochen, der vor einem Wechsel ins Ausland stand, sondern die Bundesaußenministerin. Weil sie nicht zum ersten Mal verbal irrlichterte, liest sie neuerdings fast jede Zeile ab. Nun haben wir wahrlich andere Probleme als Annalena Baerbocks schlaue Schwerter, aber verbale Knüppel sind in diesen konfliktreichen Tagen nun auch nicht wirklich von Vorteil auf dem internationalen politischen Parkett. Da wäre – und das ist bitte nicht als Grünen-Schelte oder Baerbock-Bashing zu verstehen – ein wenig mehr Tiefgang durchaus hilfreich.
Mir macht es ein wenig Sorge, dass heute viele mit einer Selbstverständlichkeit meinen, sie seien zu Höherem berufen, dass es fast schon den Anschein hat, als würden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. In Kehl ist jetzt ein Krankenpfleger mit klarer Mehrheit zum Oberbürgermeister gewählt worden. Der Mann hat einen guten Wahlkampf gemacht und sicher auch eine spezifische Bildung und eine gute Ausbildung. Im Wahlkampf hat er nicht wirklich verhehlt, dass er jedoch weder die Sprache der französischen Nachbarn spricht noch einen Funken Verwaltungserfahrung hat. Er wurde trotzdem gewählt in einer Stadt, in der es drei Bäder gibt, die allesamt geschlossen, weil marode sind, in einer Stadt, in der im Rathaus ein gravierender Korruptionsfall aktenkundig ist, der juristisch noch der Aufarbeitung harrt – und es auch sonst noch mancherlei Probleme gibt. Damit auch hier kein Missverständnis entsteht: der Krankenpfleger ist demokratisch gewählt, sicher ein guter und lokal vernetzter Mensch und er hat im neuen Amt eine Chance verdient. Nur kann der Quereinsteiger wirklich auch OB in einer Stadt, die nur einen Steinwurf von Straßburg entfernt liegt und also prädestiniert dafür ist, größer und europäischer zu denken? Mag sein, dass die drohende Schließung der örtlichen Klinik ein wichtiges Thema in Kehl ist, aber die deutsch-französischen Beziehungen und die Chancen, die darin wohnen, sind halt auch nicht ganz zu verachten!
Wer nachspüren möchte, was ich damit meine, dem sei eine Fahrt mit der Tram von Straßburg über die Grenze nach Kehl empfohlen. Auf der französischen Seite gibt es charmante Ansagen vor jedem neuen Halt. Kommt man nach Kehl, schreit plötzlich eine sonore Männerstimme vom Band: „Oaaaah, jetzt wird’s g’scheit“ – ein Verweis auf den nächsten Haltepunkt an der Verwaltungshochschule in Kehl, die besagter Krankenpfleger übrigens nie besucht hat. Ehrlich gesagt, ist diese Ansage zum Fremdschämen. Rund drei Millionen Fahrgäste haben allein im ersten Jahr der Tram den Rhein in beide Richtungen überquert und viele unserer freundlichen Nachbarn mussten mit anhören, dass es plötzlich im Dunstkreis der Hochschule „gescheit wird“. Das sind die wahren Knüppel des bildungsbürgerlichen Lebens. Fast wäre man versucht, das Kabel zum Lautsprecher in der Tram mittels Hieb eines „intelligenten Schwerts“ zu durchtrennen.