Von Umsatz und Grundsatz

Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemanden den Bart zu sengen, hat Georg Christoph Lichtenberg einmal geschrieben. Auch Karl Allgöwer, die VfB-Legende, hat sich den Bart manchmal ordentlich verbrannt. Er positionierte sich gegen Kernkraft, Apartheid und Umweltzerstörung. Das war ziemlich unüblich seinerzeit für Fußballer in der Bundesliga. Die Medien hatten ihre Freude an dem Widerständler und verpassten ihm das Etikett des Kantigen, das er eigentlich gar nicht wollte. Der „Spiegel“ nannte ihn einmal den „Ewald Lienen des Musterländles“ und die „Sowjetskij Sport“ stilisierte ihn gar zum „politisch Verfolgten“. Das weckte Begehrlichkeiten, auch im Verein.  Der damals amtierende Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder lief rot an vor Wut, wenn er in den Zeitungen Bilder seines Mittelfeldspielers sah, der sich vom Sportfotografen Erich Baumann auf einer Müllkippe ablichten ließ oder öffentlich bedauerte, dass er bei einer Menschenkette gegen die Stationierung von Pershingraketen gerne dabei gewesen wäre, aber leider zu der Zeit gegen den FC Bayern spielen müsse.

Wie sind wir jetzt ins Plaudern gekommen? Ach ja: die Aufrechten beim VfB Stuttgart! Was Karl Allgöwer wohl über den neuen Hauptsponsor seines Clubs denken mag? Die Roten vom Cannstatter Wasen werden künftig für den Online-Wettanbieter „Winamax“ auf ihren Trikots werben. Das französische Unternehmen zählt in Europa „zu den bekanntesten Wettanbietern und zeichnet sich durch sein innovatives Produktportfolio mit starkem Fokus auf den europäischen Fußball aus“, wie der Verein in seiner Pressemitteilung Nummer 73 schreibt. Schöne Sache. Nur passt sie auch zu den gerne und oft von den VfB-Oberen im Munde geführten Werten? Werte tun sich durch Nutzen stiftende Merkmale hervor. Ein wichtiger Nutzen für den VfB ist bei diesem Handel die damit einhergehende Überweisung.

Der VfB spielt jetzt in der MHP-Arena, was gleichfalls frisches Geld in die klamme Kasse spült. Hinter MHP aus Ludwigsburg steht Porsche aus Zuffenhausen – und damit ein renommiertes Unternehmen, das tatsächlich für Werte steht. Steht dafür auch der neue Trikotsponsor? Wenn die Profis drunten in der MHP-Arena ihrem Tagwerk nachgehen, werben die Spieler als wäre es das Normalste von der Welt für ein Metier mit erheblicher Suchtgefahr. Das legale Glücksspiel ist stark im Kommen. Der Anteil der Sportwetten hat sich zuletzt mehr als vervierfacht und erreichte 2021 laut übereinstimmenden Medienberichten fast 10 Milliarden Euro.

Man darf sich die Wirkung dieses Sponsorings gerne einmal vor Augen führen. Jugendliche, die den Verein lieben, blicken auf die Trikots ihrer Idole, die für einen Online-Wettanbieter über den Rasen rennen. Die jungen Fans wollen natürlich gleich Trikots kaufen, die sie mitunter auch in der Schule tragen. Aber da hat der VfB moralisch vorgesorgt. Auf der Trikotbrust wird laut dem Club „in allen Kindergrößen“ der Schriftzug „Stuttgart“ stehen. Das heißt, auf den textilen Fanartikeln wird zumindest in kleinen Größen nicht für den großen Hauptsponsor geworben, bei den Erwachsenen aber schon. Die Kinder werden diese Art von Marketing-Weichspülung schnell durchschauen und vermutlich auch ein bisschen googeln bei „Winamax“, wo es heißt: „Verliert keine Zeit und registriert euch beim Anbieter mit dem besten Willkommens-Bonus“. Natürlich dürfen die Kleinen als Minderjährige selbst noch nicht mitmachen beim großen Wetten, aber sie werden mit Bedacht an das Thema herangeführt. Das nennt man dann wohl eine gute Jugendarbeit.

Was ist auch schon dabei? Andere Clubs werben bekanntlich auch für Wettanbieter. Umsatz braucht nicht immer zwingend Grundsatz. Und schließlich gibt es neuerdings mit „Jokerstar“ auch noch ein weiteres Unternehmen, das ganz gut passt zum eingeschlagenen Kurs des VfB. „Jokerstar“ wirbt als offizieller Club-Partner prominent auf Hintertor-Banden in der MHP-Arena für seine Produkte. Jokerstar ist ein behördlich zugelassener Anbieter für virtuelle Automatenspiele.

Vielleicht sollten sie drunten am Wasen im Vereinsheim die virtuellen Chancen nutzen und sich im Netz ein bisschen umsehen, wie das so ist mit den möglichen Folgen des Glücksspiels. Leicht zu finden sind Berichte von Experten, die sagen, dass Sportwettsucht besonders tückisch sei, weil sie auf dem Glauben fuße, durch Fußballerfahrung und durch Fachwissen könne man voraussehen, wie die Begegnungen ausgehen und auf diese Weise seriös gutes Geld verdienen. Wer schießt das nächste Tor, wie geht das Spiel aus, wie viele Eckbälle wird es geben? Sportwetten sind 24 Stunden am Tag verfügbar, von jedem Rechner aus buchbar, sieben Tage pro Woche. Kritiker befürchten, dass durch Sport-Wettsucht noch so manche junge Biografie einen bösen Knick erleben wird. Die Zahlen gehen nach oben. Es grummelt im Netz. Aber was macht das schon, wenn sich Väter und Mütter ein bisschen sorgen um ihre Söhne und Töchter, die wie sie eingefleischte VfB-Fans sind und künftig bei jedem Kick hübsche Wettanbieter-Botschaften vor Augen haben? Muss man halt offen drüber reden – wenigstens im Familienkreis.

„Wenn man einen Standpunkt hat, dann sollte man ihn auch vertreten“, hat Karl Allgöwer einmal gesagt. Bei seinem früheren Club wird der Standpunkt vertreten, dass viel Geld in der Kasse das Maß aller Dinge ist – und Geld am Ende Tore schießt und mit den Toren dann andere Tore aufgehen. Genau darauf wetten sie beim VfB.

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