Quereinsteiger an die Macht

Liebe Lesende,

es ist Zeit, an den Remstalrebellen Helmut Palmer zu erinnern. Für die Jüngeren sei gesagt: der streitbare Obstbaufachmann und Bürgerrechtler, nebenbei Vater des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer, war ein schwäbischer Revoluzzer, der als parteiloser Einzelkandidat bei unzähligen Bürgermeisterwahlen antrat und dabei immer wieder Salz in der Wahlkampfsuppe war. War er am Start, ging die Wahlbeteiligung schon mal über 80 Prozent. Spektakel garantiert.

Ein Mal hätte es in Schwäbisch Hall fast geklappt. Der wortgewaltige Wahlkämpfer, der die Volksseele anrührte, lag im ersten Wahlgang  vorne und machte sich bereits Gedanken über seine künftige Amtsführung. Doch dann gab es noch einen zweiten Durchgang. Das bürgerliche Lager wachte auf und verhinderte letztlich, dass ein Obsthändler die Geschicke der Stadt führt.

In Kehl an der französischen Grenze stand in diesen Tagen die OB-Wahl an. Im ersten Wahlgang lag ein Kandidat mit 45 Prozent klar vorne. Der Mann ist Krankenpfleger. Ein ehrenwerter Beruf, der nie wichtiger war als heute. Aber befähigt er, ein Rathaus zu führen? Die Lokalpostille sieht ihn jedenfalls bereits als neuen Rathauschef und geizt nicht mit Superlativen für den Mann aus dem Gesundheitswesen, der offenbar die richtigen Pflaster für seine Stadt mitbringt, die ein bisschen kränkelt, vor allem beim Selbstbewusstsein.  

Es ist auf der einen Seite durchaus gut, dass sich auch Menschen zur Wahl stellen, die nicht wie Schnittlauch auf allen Suppen schwimmen. Zugleich wächst die Gefahr, wenn immer mehr Selfmade-Experten von eigenen Gnaden gesellschaftspolitisch wichtige Dinge tun wollen, für die sie eigentlich nur bedingt qualifiziert sind. Jeder traut sich heute offenbar alles zu. Bei den Grünen kommt immer mehr Personal an die Spitze, das lächelnd kundtut, das Studium abgebrochen zu haben. Das scheint heute kein Malus mehr zu sein, sondern ein Qualitätskriterium.

Der gute alte Helmut Palmer, der sich vor allem auf Goldparmänen und Gewürzluiken verstand, sah sich zuvorderst als Obsthändler und nebenberuflich als Stachel im Fleisch der Demokratie. Er wäre gerne Kanzler geworden oder Landtagspräsident oder Oberbürgermeister. Vielleicht hat er einfach zur falschen Zeit gelebt. Einer wie er hätte heute vermutlich deutlich bessere Chancen. Allein schon durch seinen Mut hätte sich der wortgewaltige Rebell vom politischen Mainstream abgehoben. Als die RAF das Land in Schrecken versetzte, schaltete Palmer eine Anzeige in der Zeitung. „An die Rote Armeefraktion“, stand da zu lesen. „So nicht meine Herren! Mir gefällt auch sehr vieles nicht an unserem Staat, jedoch wäre ich nie auf den Gedanken von Gewalt und Bomben gekommen. Es ist  schon zu viel Leid durch Bomben passiert. Ich halte lieber Bombenvorträge.“

In diesem Sinne: auf mehr Mut in der Politik, auf Bombenvorträge – und ein kleines bisschen auch auf Kompetenz!

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